Arbeitszeit im Home Office – Forderung des Europäischen Parlamentes (EP) nach „Recht auf Nichterreichbarkeit“ für Arbeitnehmer


Am 21. Januar 2021 ist die EU-Kommission von den europäischen Abgeordneten aufgefordert worden, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der ein sogenanntes „Recht auf Nichterreichbarkeit“ („right to disconnect“) umsetzt. Dies sei erforderlich, da die Grenze zwischen Berufstätigkeit und Freizeit durch die Arbeit mit mobilen Endgeräten vor allem im Home Office verschwimme und sich Arbeitnehmer vermehrt dem Druck ausgesetzt sähen, dauerhaft erreichbar zu sein.

Enorme Steigerung der im Home Office Tätigen und Zunahme an Arbeitserbringung in der Freizeit

Die Anzahl der Arbeitnehmer, die seit dem weltweiten Ausbruch von Covid-19 im Frühjahr 2020 dauerhaft oder gelegentlich von Zuhause aus tätig werden, ist um ca. 30 – 40 % gestiegen. Anstoß für den jetzigen Vorstoß des EP war in diesem Zusammenhang, dass in einer Umfrage knapp 30 % der im Home Office tätigen befragten Arbeitnehmer angaben, regelmäßig – zum Teil täglich – auch in ihrer Freizeit zu arbeiten. Bei einer Tätigkeit in der betrieblichen Arbeitsstätte liegt dieser Wert bei weniger als 5 %.
 

Kernziel des Europäischen Parlamentes: Durchsetzbarkeit erhöhen

Das EP sieht in dem Recht, außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit nicht an arbeitsbezogener elektronischer Kommunikation teilnehmen zu müssen ein gesetzlich zu schützendes Grundrecht. Angesetzt werden soll insofern an zwei Stellen:

  • Es soll die notwendige Rechtsgrundlage geschaffen werden, damit das Recht auf Nichterreichbarkeit durchgesetzt werden kann;
  • bei Verletzung dieses Rechtes soll es möglich sein, sich zur Wehr zu setzen – ohne Nachteile befürchten zu müssen.

Erfordernis eines “Rechts auf Nichterreichbarkeit”? Was gilt bereits?

Nach der deutschen Rechtslage ist fraglich, ob es eines „Rechts auf Nichterreichbarkeit“ bedarf. Grundsätzlich besteht keine Pflicht, dem Arbeitgeber außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten zur Verfügung zu stehen. Zudem befinden sich umfangreiche Regelungen zu Pausen- und Ruhezeiten bereits jetzt im Arbeitszeitgesetz (ArbZG), welche auch im Home Office zu beachten sind:

  • Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden ist mindestens eine 30-minütige und bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden eine mindestens 45-minütige Pause einzulegen.
  • Die höchst zulässige Arbeitszeit ist täglich (exklusive der Pausen) grundsätzlich auf acht Stunden begrenzt, maximal aber auf zehn Stunden, wenn der Tagesdurchschnitt in sechs Kalendermonaten oder in 24 Arbeitswochen die Grenze von acht Arbeitsstunden nicht überschreitet.
  • Es ist eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit einzuhalten.

Fraglich ist, inwiefern die vorgesehene Ruhezeit durch eine ständige Erreichbarkeit tangiert wird und ob es im Rahmen einer angeordneten oder jedenfalls geduldeten Erreichbarkeit eine „nicht nennenswerte Arbeitsleistung“ gibt. Nach den aktuellen Regelungen bleibt offen, ob z.B. in Fällen des Lesens oder Versendens einzelner E-Mails außerhalb der Regelarbeitszeit von Arbeitszeit auszugehen ist. Wäre dies der Fall, würde in den genannten Fällen die Ruhezeit von elf Stunden jeweils erneut beginnen. Für eine lediglich „nicht nennenswerte Arbeitsleistung“ spricht in diesen Fällen, dass kleinere Unterbrechungen nicht der Erholung des Arbeitnehmers schaden, welche gerade Sinn und Zweck der Ruhezeit ist. Dagegen spricht indes, dass der EuGH nur den Dualismus von Arbeitszeit und Freizeit kennt. Der Erholungswert der Ruhezeit soll danach gerade darin liegen, dass in dieser Zeit gar kein Gedanke an die Arbeit aufgewendet werden soll.
 

Folgen eines „Rechts auf Nichterreichbarkeit“ – Verluste auf beiden Seiten

Die großen Vorteile, die das Arbeiten im Home Office mitbringt, könnten je nach Umsetzung eines Rechts auf Nichterreichbarkeit eingeschränkt werden. So könnte dies die Vertrauensarbeitszeit und die (oft gewünschte) Flexibilität in der Einteilung der Arbeitszeit noch weiter beeinträchtigen, als dies bereits durch die derzeitigen Regelungen des ArbZG der Fall ist. Dies ist aber in der Regel genau der Aspekt, den Arbeitnehmer an der Tätigkeit im Home Office besonders schätzen. Auf Arbeitgeberseite würde je nach Regelung ein erheblicher administrativer Aufwand entstehen. Zudem erhöht sich die Gefahr von Verstößen, für welche der Arbeitgeber zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Es bleibt abzuwarten, wie die EU-Kommission die Forderung des EP umsetzt, wie weitgehend etwaige Vorgaben auf europäischer Ebene sein werden und inwieweit sich Änderungsbedarf durch den deutschen Gesetzgeber ergibt.