Immer mehr Unternehmen erteilen Arbeitszeugnisse nicht mehr im klassischen Fließtext, sondern zeitsparend in tabellarischer Form. Genügen diese „Multiple-Choice“-Zeugnisse den von der Rechtsprechung aufgestellten Formerfordernissen oder sind es möglicherweise die Formerfordernisse selbst, die im Zeitalter der Digitalisierung im Wandel stehen?
Trend zum „Multiple Choice”-Zeugnis
Arbeitszeugnisse gelten als wesentlicher Nachweis der Qualifikation eines Bewerbers. Sie sind – neben der Funktion der bloßen Leistungsbewertung – Teil der „Visitenkarte“ eines jeden Arbeitnehmers. Immer mehr Unternehmen verfassen kein klassisches Zeugnis mehr, sondern verwenden lediglich den Ausdruck eines internen Beurteilungsbogens. In Spaltenform wird vom Vorgesetzten angekreuzt, ob der Arbeitnehmer bezüglich verschiedener Bereiche (z.B. Arbeiten im Team, Selbsteinschätzung) „die Anforderungen erheblich übertrifft“ oder „den Anforderungen noch nicht entspricht“. Dazwischen finden sich Abstufungen. Unter dem Zeugnis ist Platz für etwaige Anmerkungen und die gesetzlich geforderte handschriftliche Signatur.
Keine gesetzlichen Formvorgaben
Kann ein solches „Formular“ dem Zweck genügen, als Teil der Visitenkarte des Bewerbers zu fungieren? Ist ein Beurteilungsbogen etwas, das vom Rechtsverkehr als übliches Arbeitszeugnis aufgefasst werden kann?
Mangels gesetzlicher Bestimmungen wurden die Anforderungen, welche an die Form eines Arbeitszeugnisses zu stellen sind, durch die Rechtsprechung entwickelt. Auf den Punkt gebracht muss das Zeugnis formell dem entsprechen, was der Rechtsverkehr üblicherweise erwarten darf.
Tabellarische Abfassung als „übliches“ Arbeitszeugnis?
Ein potenzieller Arbeitgeber, der eine Bewerbung unter Beifügung eines bloßen Beurteilungsbogens erhält, wird sich fragen, warum keine „fertige“ Ausführung übersandt wurde oder ob das „richtige“ Arbeitszeugnis noch nachgereicht wird. Außerdem könnte befürchtet werden, der Arbeitnehmer „habe erst einmal selbst die Kreuze gesetzt“ und dies später lediglich vom Arbeitgeber durch dessen Unterschrift absegnen lassen. Selbst wenn das Zeugnis dem Arbeitgeber zugeordnet wird, kann es negative Assoziationen erwecken. Zum einen ist das bloße Anklicken eines Kästchens mit weniger „Hemmungen“ verbunden. Ein Kreuz wird schneller gesetzt als ein Satz geschrieben wird. Darüber hinaus kann der Beurteilungsbogen den Verdacht erregen, dass das Verhältnis zwischen den Parteien so angespannt ist, dass nicht einmal mehr ein „fertiges“ Arbeitszeugnis ausgestellt wurde. Es kann so wirken, als sei der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Zeit, die es gekostet hätte, einen Fließtext zu erstellen, schlicht nicht wert.
Zieht man alle diese Punkte in Betracht, scheint die Ersetzung eines klassischen Arbeitszeugnisses durch eine tabellarische Abfassung im Rechtsverkehr derzeit unüblich.
Neuere Entwicklungen und Grenzen – Wandel des Üblichen?
Es geht im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr um die Optimierung von Prozessen; schnelle Kommunikation, Effizienz und Zeitersparnis.
Für die aktuelle Generation von Arbeitgebern zeugt ein förmliches Arbeitszeugnis unter Abfassung eines Fließtextes von Wertschätzung gegenüber dem ehemaligen Arbeitnehmer. Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch die Vorteile, die durch die Möglichkeit einer tabellarischen Abfassung entstünden: Zeitersparnis für den Verfasser, Übersichtlichkeit, verbesserte Vergleichbarkeit der Bewerteten, Transparenz sowie die Vereinfachung digitaler Bewerbungsverfahren. Im Rahmen des Generationswechsels der Arbeitgeber können diese Vorteile zu einem Umdenken führen, das insoweit auch in der Rechtsprechung nachvollzogen und gebilligt werden müsste.