Mitarbeiterbeteiligung: Verfall von virtuellen Optionen – Kehrtwende in der BAG-Rechtsprechung


Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 19. März 2025 entschieden (10 AZR 67/24; bisher liegt nur die Pressemitteilung vor), dass folgende Klauseln in virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen unwirksam sind:

1.) Klauseln, die bei Eigenkündigung (Unterfall einer „Bad Leaver“-Klausel) zu dem unmittelbaren Verfall aller „gevesteten“ virtuellen Optionen führen, und
2.) Klauseln, die regeln, dass „gevestete“ virtuelle Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schneller verfallen, als sie innerhalb der „Vesting-Periode“ verdient wurden.

Das BAG sieht die Zuteilung von virtuellen Optionen aus Mitareiterbeteiligungsprogrammen als eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung und wendet sich damit von seiner bestehenden Rechtsprechung ab (BAG, Urteil vom 28.05. 2008, Az. 10 AZR 351/07), wonach der spekulative Charakter von virtuellen Optionen im Vordergrund stand.

Sachverhalt

Der Kläger war als Arbeitnehmer von 2018 bis 2020 bei der Beklagten beschäftigt und hat von 2019 bis 2020 virtuelle Anteile erhalten, bevor er zum 31. August 2020 gekündigt hat. Zum Beendigungszeitpunkt waren ca. ein Drittel der virtuellen Optionen „gevestet“.

Das Mitarbeiterbeteiligungsproramm enthielt – wie üblich – ein vier-Jahres-Vesting mit einem Jahr „Cliff“. Außerdem war eine Regelung enthalten, wonach bereits „gevestete“ aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen „Bad Leaver“ u.a. dann vollständig verfallen, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt (Eigenkündigung).

Außerdem regelte das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm den sukzessiven Verfall von bereits „gevesteten“ virtuellen Optionen innerhalb von zwei Jahren nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses („De-Vesting“).

Der Kläger machte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Ansprüche aus den „gevesteten“ virtuellen Optionen geltend, was der Arbeitgeber mit Verweis auf die „Bad Leaver“-Klausel ablehnte.

Kehrtwende des BAG: virtuelle Optionen sind eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung und nicht „nur“ eine Verdienstchance

Das BAG hat die „Bad-Leaver“-Verfallsklausel in Bezug auf die Eigenkündigung für unwirksam erklärt. Zunächst stellt das BAG fest, dass es sich bei den Bestimmungen in einem virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogramm, um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelt. Die Regelungen seien somit am strengen Maßstab der §§ 305 ff BGB zu messen. Das BAG hat stellt fest, dass die Verfallklausel den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und deshalb unwirksam sei (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die vom Arbeitnehmer „gevesteten“ virtuellen Optionen seien deshalb nicht verfallen und können gegen den früheren Arbeitgeber geltend gemacht werden.

Das BAG begründet die Unwirksamkeit wie folgt:

Zum einen seien die „gevesteten“ virtuelle Optionen eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer im Vestingzeitraum erbrachten Arbeitsleistung. Der sofortige Verfall der „gevesteten“ virtuellen Optionen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei deshalb eine unangemessene Benachteiligung und stehe dem Rechtsgedanken „Arbeitslohn gegen Arbeitsleistung“ (§ 611a Abs. 2 BGB) entgegen. Dass die „gevesteten“ virtuellen Optionen eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung seien, folgt nach dem BAG insbesondere aus der in dem virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogramm geregelten Aussetzung der „Vesting“-Periode in Zeiträumen, in denen der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt (z.B. bei einem Sabbatical oder Elternzeit).

Zum anderen führe der sofortige Verfall aller „gevesteten“ virtuellen Optionen nach einer Eigenkündigung zu einer – arbeitsrechtlich nicht zu duldenden – sog. Kündigungserschwerung für den Arbeitnehmer, da es dadurch im Falle der Eigenkündigung zu einer Vermögenseinbuße kommen kann.

Auch die Klausel zum beschleunigten „De-Vesting“, die in den Programmbedingungen vorgesehen ist, hält das Gericht für unwirksam. Das BAG erkennt zwar an, dass ein gestaffeltes „De-Vesting“ den abnehmenden Einfluss des Mitarbeiters auf den Unternehmenswert bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen widerspiegele. Die Regelung, dass die Optionen jedoch doppelt so schnell verfallen, wie „gevestet“ sind, berücksichtige jedoch nicht ausreichend die Zeit, die der Arbeitnehmer mit dem „Vesting“ der virtuellen Optionen verbracht hat.

Ausblick und Praxistipp:

Diese Entscheidung markiert eine Abkehr des BAG bzgl. seiner bisherigen Beurteilung von virtuellen Optionen als – arbeitsrechtlich bisher weniger schutzwürdige – lediglich spekulative „Gewinnchancen und Anreiz für zukünftigen Einsatz“ eines Arbeitnehmers. Die Pressemitteilung deutet daraufhin, dass „gevestete“ virtuelle Anteilsoptionen an den gleichen Maßstäben wie andere Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter (leistungsbezogene Vergütungsansprüche) zu messen sein werden.

Da bisher nur die Pressemitteilung vorliegt, ist eine abschließende Bewertung noch nicht möglich. Aus der Pressemitteilung lassen sich jedoch die folgenden Tendenzen erkennen:

„Gevestete“ virtuelle Optionen sind arbeitsrechtlich damit „Entgelt“, jedenfalls dann, wenn im Mitarbeiterbeteiligungsprogramm ein Gleichlauf des „Vestings“ zur Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers bei der üblichen Gehaltszahlung besteht.

  • Vorliegend wurde das „Vesting“ für Zeiträume „ausgesetzt“ in denen der Arbeitnehmer keinen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber hat (z.B. Elternzeit).
  • Infolgedessen wäre es – abhängig von den konkreten Entscheidungsgründen des BAG – jedenfalls denkbar, dass durch eine Streichung der o.g. Aussetzung des „Vestings“, die Qualifikation der virtuellen Optionen als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung vermieden werden kann.
  • Eine solche Anpassung hätte jedoch den ungewünschten Effekt, dass nicht mehr die tatsächliche Arbeitsleistung für das „Vesting“ der virtuellen Optionen maßgeblich ist.
  • Der Vorteil einer solchen Anpassung könnte (abhängig von den Entscheidungsgründen sein), dass ein größerer Gestaltungsspielraum bzgl. „Bad-Leaver“-Klauseln und „De-Vesting“-Regelungen in virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen verbleibt.
  • Die Eigenkündigung weiterhin als „Bad-Leaver“-Event zu qualifizieren wird bei einer Einordnung als Kündigungserschwerung aber auch bei einer entsprechenden Anpassung der Mitarbeiterbeteiligungsprogramme nicht mehr möglich sein.

Des Weiteren wird abzuwarten sein, ob nur die Eigenkündigung in „Bad-Leaver“-Klauseln unzulässig ist oder „Bad-Leaver“-Klauseln insgesamt nicht mehr durchsetzbar sein könnten; d.h. ob der Arbeitgeber insbesondere bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen einen Verfall von „gevesteten“ Anteilen überhaupt noch durchsetzen können wird.

  • Ausgehend von der neuen Grundaussage, dass „gevestete“ virtuelle Optionen bei der üblichen Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen Entgelt sind, erscheint ein Verfall von „gevesteten“ Optionen unabhängig davon, ob ein „Bad“- oder „Good-Leaver-Event“ vorliegt, unzulässig zu sein. Da die Arbeitsleistung für den Erhalt der virtuellen Optionen in der Vergangenheit tatsächlich erbracht worden ist, kann auch eine spätere z.B. verhaltensbedingte Kündigung diese bereits erbrachte Arbeitsleitung nicht mehr „rückwirkend“ aufheben.
  • Die Pressemitteilung lässt diesbezüglich noch keine abschließende Einschätzung zu. Da danach ein „De-Vesting“, das ebenfalls auf den Verlust erarbeiteter virtueller Optionen abzielt, unter bestimmten Umständen zulässig sein dürfte, müssten konsequenterweise auch „Bad-Leaver“-Klauseln mit der gleichen Wirkung zulässig sein.

Sollte die Eigenkündigung, aufgrund der Einordnung virtueller Optionen als Entgelt, nicht mehr als „Bad-Leaver“-Event zum Totalverfall aller „gevesteten“ Anteile führen können, müssten alternative Gestaltungsformen des „Vestings“ herangezogen werden, um Anreize für langfristige Betriebstreue zu setzen und übermäßige Verwässerung des Captables zu vermeiden:

  • Ein exponentielles „Vesting“ würde dazu führen, die Zahl der „vestenden“ Anteile erst zum Ende der „Vesting“-Periode stark ansteigt, z.B. wenn in Jahr 1 nur 10 % der Anteile gevestet würden, in Jahr 2 sodann 20 %, Jahr 3 schon 30 % und in Jahr 4 schließlich 40 %.

Letztlich wird aber die Urteilsbegründung des BAG zeigen müssen, ob und welche Anpassungen notwendig und sinnvoll sind. Denkbar wären z.B. auch

  • den Cliff zu verlängern, oder
  • die „Vesting“-Intervalle von monatlich auf quartalsweise oder halbjährlich anzupassen.

Die Urteilsbegründung wird in den nächsten Monaten erwartet. Diese sollten vor größeren Eingriffen in bestehende Mitarbeiterbeteiligungsprogramme noch abgewartet werden.