Um die Mitbestimmung in Unternehmensorganen zu vermeiden, war die sogenannte „Flucht in die Societas Europaea (SE)“ ein oft beworbenes Patentrezept. Dies gilt zwar auch weiterhin, allerdings dürften nach der Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. aus August 2018 u. U. neue Spielregeln gelten.
Vorher-Nachher-Prinzip bei SE-Mitbestimmung
§ 35 Abs. 1 SEBG bestimmt, dass sofern die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG (Gründung einer SE durch Umwandlung) vorliegen, die Regelung zur Mitbestimmung erhalten bleibt, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat. War ein Unternehmen also vor der Umwandlung mitbestimmungsfrei, konnte dieser Zustand durch die Umwandlung in die SE eingefroren und eine künftige Mitbestimmung vermieden werden. So weit, so klar.
Streitig: Bleibt rechtswidrige Zusammensetzung erhalten?
Umstritten ist allerdings die Frage, ob es auf den rechtlichen Soll-Zustand (also die ordnungsgemäße Besetzung eines Organs) oder aber auf den tatsächlichen Ist-Zustand ankommt, demnach somit bspw. auch ein rechtswidrig ohne Arbeitnehmervertreter besetzter Aufsichtsrat durch die Umwandlung in die SE bestehen bleibt.
Statusverfahren nach Umwandlung einer AG zur SE
Mit dem OLG Frankfurt a. M. (Entscheidung v. 27. August 2018 – 21 W 29/18) hat nun erstmals – soweit ersichtlich – ein zweitinstanzliches Gericht zu dieser Frage Stellung nehmen können. Im zu entscheidenden Sachverhalt durchlief die A-Gesellschaft durch Eintragung des Umwandlungsbeschlusse am 31. Juli 2017 eine formwechselnde Umwandlung von einer AG zu einer SE. Der Aufsichtsrat bestand dabei nur aus Vertretern der Anteilseigner. Bei der A-Gesellschaft waren zu diesem Zeitpunkt 205 Arbeitnehmer, im gesamten Konzern insgesamt 1.046 Arbeitnehmer tätig. Zudem waren bei einer weiteren Gesellschaft ca. 1.300 Arbeitnehmer beschäftigt, wobei ungeklärt war, inwieweit diese Gesellschaft dem Konzern zugerechnet werden musste. Mit dem Statusverfahren wurde die gerichtliche Feststellung beantragt, dass der Aufsichtsrat zur Hälfte auch mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden müsse.
LG verweist auf Ist-Zustand und weist Verfahren ab
Das angerufene LG Frankfurt a. M. hatte diesen Antrag zurückgewiesen und verwies darauf, dass der Aufsichtsrat nicht nach den Regeln des Mitbestimmungsrechts, sondern allein nach dem SEBG zu bilden sei. Demnach kämen bei einer Umwandlung in eine SE ohne eine anderslautende Vereinbarung nach § 35 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG die Regelungen zur Mitbestimmung zur Anwendung, die vor der Umwandlung galten. Da das LG aber allein die tatsächlich praktizierte Handhabung – im vorliegenden Fall also die ggf. rechtswidrige Besetzung des Aufsichtsrats ohne Vertreter der Arbeitnehmer – und nicht etwa die abstrakte Rechtslage für maßgeblich hielt, verneinte es im Ergebnis die Anwendung des Mitbestimmungsrechts. Gegen diese Feststellung wehrte sich der Aktionär mit einer Beschwerde, die schließlich vom Oberlandesgericht entschieden werden musste.
OLG: Allein der rechtmäßige Soll-Zustand maßgeblich!
Anders als das LG hielt das OLG allerdings im Kontext von § 35 SEBG nicht den tatsächlichen Ist-, sondern vielmehr den rechtlichen Soll-Zustand für entscheidend. Dafür sprächen vor allem Sinn und Zweck von § 35 SEBG, der die vor der Umwandlung erworbenen Rechte von Arbeitnehmern auf Beteiligung an Unternehmensentscheidungen sichern soll. Zu diesen Rechten gehöre, so das OLG, auch das Recht, einen rechtswidrigen Zustand wie die unrechtmäßige Zusammensetzung des Aufsichtsrats über das gerichtliche Statusverfahren nach § 99 AktG. Dem Kontinuitätsprinzip werde auch bei der SE dadurch Rechnung getragen, dass die geänderte Zusammensetzung des Aufsichtsrats erst mit Abschluss des Statusverfahrens zum Tragen komme.