Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil vom 19. Februar 2025 (Az. 10 AZR 57/24) entschieden, dass Arbeitgeber schadensersatzpflichtig sein können, wenn sie ihre Verpflichtung zur rechtzeitigen Zielvorgabe verletzen. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen die Zielvorgabe für eine variable Vergütung zu spät oder gar nicht erfolgt. Das Urteil knüpft an die bisherige BAG-Rechtsprechung zu verspäteten Zielvereinbarungen an und verdeutlicht die Risiken für Arbeitgeber und die Bedeutung einer fristgerechten und klaren Zielvorgabe.
Hintergrund
Das Arbeitsrecht hält verschiedene Möglichkeiten bereit, Arbeitnehmern neben dem Festgehalt eine gesonderte Vergütung zu gewähren. Ein beliebtes Mittel ist eine variable Vergütung auf Grundlage einer Zielvereinbarung. Hierdurch sollen Arbeitnehmer zu einer Leistungssteigerung motiviert werden, welche entsprechend honoriert wird. Rechtsgrundlage ist regelmäßig der Arbeitsvertrag, in dem mittels einer Rahmenregelung der Arbeitgeber verpflichtet wird, jährlich mit dem Arbeitnehmer die zu erreichenden Ziele zu verhandeln. Hierbei soll über die zu erreichenden Ziele und die daran anknüpfenden Zahlungen eine einvernehmliche Regelung getroffen werden. Von der Zielvereinbarung ist die einseitige Zielvorgabe durch den Arbeitgeber zu unterscheiden: Hier hat der Arbeitgeber die zu erreichenden Ziele einseitig festzulegen.
Schadensersatzpflicht bei unterlassener Zielvereinbarung
Probleme entstehen, wenn die Arbeitsvertragsparteien zwar eine Rahmenregelung über eine Zielvereinbarung getroffen haben, später aber eine entsprechende Vereinbarung über die zu erreichenden Ziele nicht zustande kommt. Es entspricht gefestigter BAG-Rechtsprechung, dass ein Arbeitgeber gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung verstößt, wenn er mit dem Arbeitnehmer für die Zielperiode keine oder nur verspätet Ziele festlegt, an deren Erreichen eine Bonuszahlung geknüpft ist. Nach Ablauf der Zielperiode löst die unterlassene Zielvereinbarung daher grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 3 BGB i.V.m § 283 S. 1 BGB aus, weil eine Festlegung von Zielen dann nicht mehr möglich ist. Bei der Schadensermittlung ist aber nach § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden des Arbeitnehmers beim Scheitern der Vereinbarung zu berücksichtigen, denn bei Zielvereinbarungen bedarf es der Mitwirkung des Arbeitnehmers.
Entsprechendes haben verschiedene Instanzengerichte auch mit Blick auf eine unterbliebene oder verspätete Zielvorgabe entschieden und dabei klargestellt, dass die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Arbeitnehmer nicht ein Betracht kommt. Dieser Ansatz wurde nun höchstrichterlich durch das BAG bestätigt.
BAG bestätigt bisherige LAG-Rechtsprechung
Der Kläger war bis zum 30. November 2019 als Mitarbeiter mit Führungsverantwortung beschäftigt und hatte einen Anspruch auf eine variable Vergütung. Im Arbeitsvertrag war ein Anspruch auf eine variable Vergütung vereinbart. Eine Betriebsvereinbarung bestimmte, dass bis zum 1. März des Kalenderjahres eine Zielvorgabe erfolgen muss. Für das Jahr 2019 wurden dem Kläger jedoch erst am 15. Oktober 2019 konkrete Unternehmensziele mitgeteilt, individuelle Ziele wurden gar nicht vorgegeben. Der Kläger vertrat die Ansicht, die Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele verspätet vorgegeben habe. Bei rechtzeitiger Vorgabe der jeweiligen Ziele, hätte er diese erreicht. Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, hatte bereits die Berufung beim Landgericht Köln Erfolg. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Schadensersatzpflicht auch bei unterlassener Zielvorgabe
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB zusteht. Durch die verspätete und unvollständige Zielvorgabe habe der Arbeitgeber seine Pflicht zur Zielvorgabe verletzt. Eine nachträgliche Zielvorgabe hätte auch nicht mehr ihre Motivations- und Anreizfunktion erfüllen können, weshalb eine gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB nicht mehr in Betracht kam.
Bei der Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 ZPO ging das BAG nach § 252 Satz 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung aus. Es nahm an, dass der Kläger bei rechtzeitiger und angemessener Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte. Dem Kläger stand daher ein Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 Euro brutto zu.
Ausschluss des Mitverschuldens Das BAG stellte klar, dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers bei unterlassener oder verspäteter Zielvorgabe des Arbeitgebers regelmäßig ausgeschlossen ist, da die Initiativlast für die Zielvorgabe allein beim Arbeitgeber liegt.