Verfall von Urlaubsansprüchen – Was muss der Arbeitgeber tun?


Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
(BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15)

Sachverhalt

Der Beklagte beschäftigte den Kläger von 2001 bis Ende 2013 als Wissenschaftler. Der Beklagte bat den Kläger etwa zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses, seinen Resturlaub zu nehmen. Der Kläger nahm allerdings nur zwei Urlaubstage und beantragte die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen in Höhe von ca. EUR 12.000. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.

Da der Beklagte die Urlaubsabgeltung ablehnte, wandte der Kläger sich an die Arbeitsgerichte. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LAG.

Gründe

Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG verfällt der Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst dann, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren. Jedoch konnte der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz verlangen, der während des Arbeitsverhältnisses auf Gewährung von Ersatzurlaub und nach dessen Beendigung auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage gerichtet war.

Das BAG hat diese Rechtsprechung weiterentwickelt und damit die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 6. November 2018 (C-684/16) umgesetzt.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Diese Vorschrift zwingt den Arbeitgeber jedoch nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliegt ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitzeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.

Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Urlaub daher regelmäßig nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorher konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt.

Das LAG wird nach der Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen ist.

Konsequenzen für die Praxis

Nach bisheriger Rechtslage in Deutschland mussten Arbeitnehmer Urlaub beantragen und grundsätzlich im Kalenderjahr nehmen. Diese Praxis wird sich durch die aktuellen Urteile des EuGH und des BAG ändern: Zwar muss der Arbeitgeber nicht dafür sorgen, dass Arbeitnehmer den Urlaub vollständig nehmen. Arbeitgeber müssen jedoch zumindest darauf achten, dass sie die Arbeitnehmer rechtzeitig darauf hinweisen, dass der Urlaub genommen werden soll. Derzeit ist unklar, wie konkret dieser Hinweis sein muss. Vorsichtige Arbeitgeber werden den Arbeitnehmer über die genaue Anzahl von Resturlaub informieren.

In vielen Unternehmen ist es bereits gängige Praxis, dass die Arbeitnehmer ihre Urlaubswünsche in einem Urlaubsplan festhalten. Aufgrund der neuen Rechtsprechung werden Arbeitgeber ein Interesse daran haben, möglichst frühzeitig zu wissen, wann die Arbeitnehmer Urlaub nehmen werden. Es wird daher interessant sein zu beobachten, ob und inwieweit die Arbeitsgerichte Arbeitgebern in Zukunft einen größeren Spielraum bei der Festlegung des Urlaubs einräumen werden. Insbesondere wird es um die Fragen gehen, bis wann ein Arbeitnehmer seinen Urlaubswunsch mitzuteilen hat und ob der Arbeitgeber Arbeitnehmer notfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt in Urlaub schicken darf.

Insgesamt wird der administrative Aufwand steigen, da gut beratene Arbeitgeber immer wieder den Resturlaub ihrer Mitarbeiter kontrollieren und entsprechende Hinweise an die Arbeitnehmer, den ausstehenden Urlaub zu nehmen, erteilen werden.